Theorie im Keller - #1 Lucius Burckhardt: Wer plant die Planung?
GesprächUm dem theoretischen Diskurs im Rahmen des afo mehr „Raum“ zu bieten, wird im Oktober erstmals das Untergeschoß des Hauses aktiviert. „Theorie im Keller“ rückt das Denken, Schreiben und Sprechen über Architektur in den Mittelpunkt.
In entspannter Salon-Atmosphäre werden Bücher und Persönlichkeiten vorgestellt, die zu aktuellen Themen aus Architektur, Urbanismus und Gesellschaft auf interessante Weise Position beziehen.
Die erste Gesprächsrunde ist Lucius Burckhardt (1925–2003) gewidmet, einem Planungstheoretiker, dessen kritische Analysen zum Verhältnis von Planung, Politik und Gesellschaft auch nach Jahrzehnten nichts an Aktualität und Brisanz verloren haben. In seinen so scharfsinnig wie humorvoll geschriebenen Texten erblickt der Schweizer Soziologe im gebauten Raum stets auch die soziopolitische Dimension, die in (stadt)planerischen Maßnahmen weiterwirkt.
Die soziale Beschaffenheit der Umwelt ist für Burckhardt als „unsichtbares Design“ mindestens ebenso prägend für die Alltagserfahrung der Menschen wie die tatsächlich sichtbare Gestalt urbanen Raums. Aus dieser Erkenntnis leitet sich seine Kritik an der gängigen Art städtischer Planungspraxis ab, die – inmitten einer komplexer werdenden und dynamischen Wirklichkeit – stets eine Ideologie der sauberen Lösung vertritt, nach dem unausgesprochenen Motto: „Ein Problem wird ein Bau.“
Burckhardt legt anhand anschaulicher Beispiele dar, wie in institutionalisierten und wenig hinterfragten Entscheidungsketten städtische Planung entwickelt wird. Klar umgrenzte „Übelstände“ würden dabei definiert und die passenden Lösungen in Form von baulichen Maßnahmen gleich mitgeliefert. Dazu werde Wirklichkeit auf ein einfaches Modell reduziert und festgelegt, was für die städtische Gestaltung „wesentlich“ sei. In diesem hierarchisch-statischen Planungsdenken, das eigenmächtig bestimmt, was Ziel und was notwendiges Mittel sei, erkennt Burckhardt jedoch ein Herrschaftsinstrument, das bürgerliche Bedürfnisse zurückdrängt und gesellschaftliche Entfaltungsmöglichkeit beschränkt. Für ihn ist das Übernehmen politischer „Verantwortung“ für Folgen, die andere tragen müssen, ein „leeres Wort“.
Dementsprechend fordert Burckhardt mehr Mitsprache- und Beteiligungsrecht für die BürgerInnen, planerisches Denken sollte die öffentliche Diskussion über kommunale und regionale Politik prägen. Auf diese Weise könnte die Stadt wieder als Gesamtheit wahrgenommen werden und die wichtigen politischen Fragen vor den „Maßnahmen“ würden mitberücksichtigt, denn, so Burckhardt: „Maßnahmen engen die Entscheidungsfreiheit ein, Planung aber soll sie erweitern.“
Gäste:
Martin Schmitz (*1956) war Student bei Lucius Burckhardt. Er ist Verleger und Mitherausgeber der Textsammlung Lucius Burckhardt: Wer plant die Planung? Architektur, Politik und Mensch.
Sabine Pollak (*1960) ist Professorin für Urbanistik an der Kunstuniversität Linz. Sie arbeitet als Lehrende und Architektin in den Bereichen Urbanistik, Wohnbau, Architekturtheorie und Genderforschung.
Konzept und Moderation:
Gabriele Kaiser, Tobias Hagleitner, Franz Koppelstätter
Lucius Burckhardt: Wer plant die Planung? Architektur, Politik und Mensch
Hrsg. Von Jesko Fezer und Martin Schmitz
360 Seiten, ISBN 3-927795-39-9
Martin Schmitz Verlag
Margit Greinöcker hat im Gespräch mit Franz Koppelstätter das neue Format "Theorie im Keller" auf Radio Fro vorgestellt.
Radio Fro "Theorie im Keller"