nachsatz#4
Sieben Häuserbiografien
PublikationEin Wohnhaus ist nie fertig – so alt es auch wird. Es ist kein abgeschlossenes Projekt, das einfach nur dasteht und Wohnzwecke erfüllt, sondern eine formbare Substanz, die die Veränderungen seiner BewohnerInnen mitmacht und spiegelt. Zeitschichten wie „Alt – Jetzt – Neu“ (Leitmotiv der Architekturtage 2014) überlagern sich in permanenten, geplanten wie auch unvorhersehbaren Anpassungsprozessen zwischen Haus, Nutzung und Kontext. Etwas verändert sich immer: Familien bekommen Zuwachs, Interessen erweitern oder verlagern sich, Geschäfte schließen, Bäume werden gefällt, eine neue Straße wird gebaut, Nachbarn ziehen woanders hin, neue ziehen ein, Möbel werden ausgetauscht, Küchengeräte angeschafft, Gegenstände angehäuft, es wird angebaut, aufgestockt oder auch nur eine Zwischenwand entfernt oder neu eingesetzt, ein morscher Boden herausgerissen, ein Klavier oder ein Holzofen werden zur fixen Idee, wohin mit den Büchern, warum nicht mal eine andere Wandfarbe ausprobieren undsoweiter undsoweiter. Wie immer bleibt nichts, wie es vorher war, denn wer wohnt, hinterlässt eben Spuren ...
Dieser Auffassung einer organisch im Wandel begriffenen Bausubstanz steht die gängige Praxis einer Architekturvermittlung gegenüber, die Objekte im gefrorenen Zustand zeigt und kanonisierte oder neu entdeckte Bauwerke heraushebt, die in Wort und Bild wie unantastbare Juwele behandelt werden, denen weder die Zeit noch das Leben etwas anhaben kann. Die Häuser stehen da wie frisch aus der Verpackung genommen.
Mit den vorliegenden sieben Häuserbiografien wollen wir im Gegensatz dazu die Bewohner und Bewohnerinnen selbst zu Wort kommen lassen und Beispiele in den Mittelpunkt rücken, an denen der Wandel der Zeit und die Spuren des Lebens nicht restlos vorübergingen. Margit Greinöcker und Franz Koppelstätter – das Kuratorenteam der Architekturtage in Oberösterreich – haben zeithältige und „lebenserfahrene“ Häuser und Siedlungen ausgewählt, die in ihrer Verschiedenheit, Alltäglichkeit, Individualität oder Besonderheit einen breiten Querschnitt möglicher Wohnformen zeigen. In sieben per Video festgehaltenen Gebäudeportraits gingen sie der Frage nach, wie sich Bauen, Leben und Wohnen in Oberösterreich in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Dass architektonische Qualität im herkömmlichen Sinn für die Auswahl der Projekte nicht das vorrangige Kriterium war, macht die vorliegenden Häuserbiografien umso authentischer und wird der alltäglichen Praxis von Bewohnerinnen und Bewohnern gerecht, die an ihren Häusern oftmals selbst Hand anlegten. Die Beispiele sind aus dem Leben gegriffen: Zwischen dem Wohnen in einem städtischen Wohnhochhaus und einem in Eigenregie errichteten Strohhaus auf dem Land, zwischen dem Leben in einem Atriumhaus in der Gartenstadt oder in einer alten Sommerfrische-Villa mögen buchstäblich Welten liegen – in der Frage nach der Beständigkeit dessen, was man über allen Wandel hinweg als Zuhause bezeichnet, ergänzen sich die Perspektiven auf überraschende Weise.
Gabriele Kaiser
Eigenverlag 2014, 20 Seiten offen broschiert
Euro 2,- (zzgl. Versandkosten)