Future Vision Leisure Wettbewerbsergebnisse
Preisverleihung und Ausstellung
AusstellungDas Profil der Wettbewerbsreihe Future Vision gewinnt weiter an Kontur. Der internationale Ideenwettbewerb, der heuer zum Thema Leisure und damit zum dritten Mal vergeben wird, rückt einmal mehr die Disziplin Architektur im Sinne einer erweiterten Definition des Begriffes in den Mittelpunkt. Das Interesse war auch diesmal erfreulich groß, die Beteiligung weltweit. Nach Future Vision Work und Future Vision Housing wurden vor dem Hintergrund einer sich im Umbruch befindlichen Welt nun Projekte prämiert, die Alternativen zur vorherrschenden Freizeitkultur bzw. Freizeitindustrie anbieten sowie den Themenkomplex Freizeit/Erholung kritisch und kreativ befragen. Die Förderung einer jungen Generation (Alterslimit 35 Jahre) sowie die direkte Verbindung von Wirtschaft und kreativem Potenzial bilden eine weitere zentrale Kontinuität des ursprünglich von Herbert Lachmayer initiierten Wettbewerbes.
Die Frage nach alternativen, intelligenten Konzepten zum diesmal vorgegebenen Thema erwies sich aufgrund der Offenheit des Begriffes Leisure, dessen Definition nicht per se gegeben ist, als eine äußerst komplexe. Die Jury entschloss sich, mit den ausgewählten Projekten klare Haltungen abseits des Mainstream in den Mittelpunkt zu rücken und vergab vier annähernd gleichwertige Preise. Die prämierten Projekte repräsentieren zwei Grundhaltungen. Im einen Fall kann man von einer Reduktion und der Suche nach dem Essenziellen sprechen, im anderen von einem kritischen, zynischen oder auch ironischen Zugang. Die beiden lobenden Erwähnungen formulieren poetisch-sinnliche Interpretationen. Zugleich stellt jedes der prämierten Projekte eine individuelle Interpretation des Themas dar. Insgesamt bemerkt man immer wieder Parallelen und Überlappungen mit den beiden vorigen Wettbewerben. Methodiken und Darstellungsweisen der Werbung sowie Unternehmen, die unterschiedlichste Dienste anbieten, zählen zu jenen Themen, die immer wieder neu interpretiert werden. Verkaufsstrategien werden heute auch von künstlerisch-kreativer Seite verfolgt. Daneben bilden Individualisierung, eine zunehmende Virtualisierung und Digitalisierung sowie die damit verbundene Mobilität seit längerer Zeit Schlagworte. Die daraus resultierenden Auswirkungen auf das Leben jedes einzelnen Menschen nehmen jedoch ständig zu.
Die Preise für Future Vision Leisure stiften fünf erfolgreiche Unternehmen aus der Wirtschaft, als Auslober fungieren drei zentrale kulturelle Institutionen von Oberösterreich. Damit wird ein weiter Bogen in der Kooperation gespannt, der das Projekt Future Vision einmal mehr als Zeichen der Kultur- und Industriestadt Linz der Öffentlichkeit präsentiert.
Margit Ulama
2. Preis
Unbusyness
MARWAN NASRI BASMAJI
Jeita / Libanon
Vor dem Hintergrund der üblichen Event- und Entertainmentkultur präsentiert sich dieser Entwurf samt seiner theoretischen Reflexion betont reduziert und konzentriert seine Idee auf das Essenzielle. Provokativ wirkt schließlich auch die einfache Graphik, die die verführerischen Bilder der gegenwärtigen digitalen, virtuellen Welten völlig unberücksichtigt lässt. So naiv die schwarzweiße Darstellung auch wirken mag, so präzise ist sie andererseits im Detail. Sie transportiert die Idee mit eben dieser Präzision und setzt dabei nur einen farblichen Akzent – den zartblauen Mond, auf den der Blick am unendlichen Firmament gerichtet ist.
Freizeit und Erholung werden im radikal minimalistischen Sinn - also ohne weitere technologische Infrastruktur - als individualistische Erfahrung interpretiert, die auf das Transzendentale gerichtet ist. Bewusst koppelt sich der Entwurf von Technologie, Information und Virtualität als drei zentralen Elementen der gegenwärtigen Gesellschaft ab. „My aim is to create a leisure space that stimulates the brain in a unique way different than the work does, and feel the real enjoyment of pure leisure.“ Der Entwurf führt als Future Vision Leisure die kontemplative Haltung vor Augen, dem einzelnen geschäftigen Individuum wird das entspannte, untätige unmittelbar gegenüberstellt. Die individuelle Isolation ist dabei jedoch nicht aufgehoben, sondern im räumlichen Sinn neu interpretiert, der Blick richtet sich auf das Universum. Die Großstadt, die an das beinahe menschenleere Szenario von Ludwig Hilberseimer aus den Zwanzigerjahren erinnert, fungiert in ihrer extremen Darstellung heute als Metapher für die zunehmende Individualisierung. Der hohe Zylinder – das Pendant zu den Hochhäusern – gibt einen „glimpse of escape from the world’s busyness„. Betretbar über eine unsichtbare Türe, ein „magic eye„, soll sich hier die Vision der reinen Freizeit mit dem Vergnügen verbinden.
2. Preis
freie zeit
KATHARINA BORN, TINA WALLBAUM
Aachen / D
In einer Zeit der zunehmenden Überflutung mit Sinnesreizen und der forcierten technologischen Entwicklung visualisiert dieses Video eine klare Gegenposition, die sich zudem von den überbordenden Ideen der aktuellen Freizeitindustrie distanziert. Auf minimalistische Weise fokussiert die Arbeit die „freie zeit„ und berührt damit unterschiedliche Ebenen der Reflexion, denen jedoch eines gemeinsam ist: das Nebensächliche, Alltägliche oder auch Unauffällige. Freizeit wird als Zeit zwischen den bedeutenden Dingen des Lebens definiert. Das Video spürt „nicht erkannte freizeitbereiche„ auf und macht Zeit-Räume des Alltags bewusst.
Die Arbeit präsentiert den Blick des Subjekts während seiner Wege durch das großstädtische Szenario, unter anderem in U-Bahnschächten und auf Rolltreppen. Die ziellose Wahrnehmung wird produktiv gemacht und hebt die „routine des alltags„ auf eine neue ästhetische Ebene. „es geht immer geradeaus, ich kann nicht ausbrechen. ich fahre und fahre, lichter pulsieren durch meinen blick, schritte schlagen wie ein metronom, mein blick gleitet durch den tunnel, der mich leitet. in gedanken, nach innen gekehrt, gleite ich durch den alltag, die sinneseinflüsse von aussen prallen an mir ab.„ An dieser Stelle wird die Frage virulent, ob die Sinneseindrücke tatsächlich abprallen, denn das Video macht gerade die Eindrücke eines meist nicht bewusst wahrgenommenen öffentlichen Raumes zu seinem zentralen Thema. Üblicherweise als hässlich eingestufte Orte entwi-ckeln eine eigene ästhetische Qualität und werten jene Zeit der Bewegung und des Transportes, die im übrigen instrumentell betrachtet werden, auf. Bisher wurde nur das ziellose Fahren im Auto, insbesondere in Los Angeles, als Freizeitgestaltung betrachtet. Nun wird diese Bewegung auf den öffentlichen Raum, der keine highlights besitzt, ausgedehnt. Von den Träumen, die diese „freie zeit„ ausserdem aktiviert und von denen der Projekttext auch spricht, wird im Video jedoch nichts gezeigt.
3. Preis
20-20 Vision Travel
JORIS HEKKENBERG, ERNO LANGENBERG
Rotterdam / NL
Die Broschüre präsentiert ein eindeutiges, sowohl zynisches als auch kritisches Statement und damit das Gegenteil einer minimalistisch-meditativen Haltung. Selten wird gesellschaftliche Kritik so scharf geäußert wie bei diesem Projekt. Zukunft und Vision von leisure bedeuten hier die Zuspitzung aktueller gesellschaftlicher Begierden und Tendenzen zu einem unüberbietbaren Extrem. Die Lust auf das intensive Erlebnis, Sensationsgier sowie die generelle Suche nach dem ultimativen Kick werden mit dem Angebot des fiktiven Reisebüros „20-20 Vision„ auf die Spitze getrieben.
Angeboten werden Reisen zu den hot spots der internationalen Konflikte, die noch immer eine Marktlücke der aktuellen Freizeitindustrie darstellen. Dazu wurde ein avancierter Container entworfen, der sich der neuesten Militärtechnologie bedient und eine futuristische, mittels Helikopter überall placierbare Kapsel darstellt, die entfernt an die Walking City von Archigram aus den Sechzigerjahren erinnert. Es drängt sich die Assoziation des flexiblen, luxuriösen Bunkers auf.
Modisches Design ergänzt die technologische Topausstattung. Kriegs-filme und die Berichterstattung von CNN werden aufgrund der Unmittelbarkeit der Erlebnisse bei weitem überboten – der Ausgang ist ungewiss, Sicherheit dennoch garantiert. Die Persistenz der Konflikte könne heute mit größerer Gewissheit vorausgesagt werden als die Schneemengen in den Alpen, so die weitere Argumentation.
Die Details runden das Angebot entsprechend den Usancen der Freizeitindustrie ab: Ausflüge zu Terroristencamps in den Bergen werden angeboten, ständiger Kontakt zur Familie über das Internet ist selbstverständlich, Gasmasken und kugelsichere Jacken bilden das modische Outfit. Ein weiterer Impetus für das Angebot ist: „Stay informed on the global situation.„ Digitales Material liefert das Hintergrundwissen. Die scharfe Kritik ist mehrschichtig und schließt die Informationsgesellschaft mit ein.
3. Preis
Simulacra Server Chapel
LISA TILDER
Columbus, Ohio / USA
Auf ironische Weise thematisiert das Projekt der simulacra server chapel konträre gesellschaftliche Rituale – die der Freizeitgesellschaft und der christlich-katholischen Welt. Dabei wird das vor Augen geführt, wovon selten mit solcher Direktheit gesprochen wird: Die westliche Gesellschaft hat Freizeit und Entertainment zu einer Art Religion gemacht. Beides fungiert gewissermaßen als Religionsersatz. Auf etwas naive Weise und beinahe hingebungsvoll wird ein komplexes System des Reisens entwickelt, das die unterschiedlichen Rituale verbindet und das zugleich in seiner Aussage nicht eindeutig festgemacht werden kann. Kritik, Ironie und Akzeptanz aktueller Bedürfnisse und Tendenzen gehen Hand in Hand. Dies alles spielt sich vor den zunehmend virulenten Gegensätzen von Original und Simulation unserer digital bestimmten Welt ab.
Der Katalog, das holy directory, gliedert sich in Meditation, Offenbarung und Genesis und reflektiert dabei die Gegensätze von Originalschauplätzen der Tourismusindustrie und ihrer Nachahmung. Hier werden – gemeinsam mit der holy scripture – die Anleitungen für die Benutzung der simulacra server chapel gegeben. Letztere stellt eine Art Urhütte dar, in deren Achse man zwar nicht zum Altar schreitet, jedoch die Stationen von Geldspende, Beichte, Reinigung, Gebet und digitaler Vernetzung durchschreitet. Hostie, Rosenkranz und Kirchenbank sind in das Ritual integriert. Bei der letzten Station fungieren die holy wafer chips als Spieleinsätze auf der Landkarte, und es erscheinen die virtuellen Bilder der Reise. Hier findet nun das eigentliche Gebet statt. Am Ende wird jedoch die Frage nach dem Heiland und Erlöser gestellt. Auch wenn die Idee zunächst spielerisch scheint, so sind die vielfältigen Fragen, die insgesamt aufgeworfen werden, essenziell. Denn worin liegt der Sinn der Anbetung diesseitiger Bildern? Und was bedeutet es, Demut und Glauben auf aus ihrem kulturellen Zusammenhang herausgelöste Orte beziehungsweise ihre banalen Reproduktionen zu richten?
Erwähnung
Moving in Place
NATALIE THOMAS
Seattle / USA
Auch dieser Entwurf für die Great-Salt-Lake-Region in den USA spielt mit dem menschlichen Bedürfnis nach Transzendenz und Ritual. Aus Unzufriedenheit mit der Gestaltung der eigenen Freizeit und dem damit verbundenen Gefühl der Leere wurde eine poetisch-rituelle Bewegung konzipiert, die verschiedene Stationen durchläuft. Es wird mit Bedeutung, Symbolik und Expressivität beziehungsweise essenziell-archaischen Topoi gespielt. Als Hintergrund dient eine „grotesquely beautiful and uniquely modern man-made landscape„. Das Urelement Wasser steht im Mittelpunkt, und man passiert die Stationen der Reinigung, des Badens, Schwimmens und Tauchens. Das Individuum soll einen Prozess der Verwandlung durchlaufen. Damit geht der Entwurf weiter als jener für das Thermalbad in Vals, mit dem Peter Zumthor ebenfalls ein Ritual des Badens entwickelt hat. Auch bei diesem Beispiel werden die Sinne in kleinen Räumen unterschiedlich stimuliert - als Alternative zu herkömmlichen Erlebnisbädern.
Das Element Wasser ist mit dem symbolträchtigen Topos des Berges verbunden. Der Ritus selbst vollzieht sich im Berginneren. Man passiert vier kleine Räume zur Einstimmung auf eine neue Welt; diesen ist unter anderem die Reinigung und Kontemplation zugewiesen. Gezielte Lichtsetzung inszeniert die Räume im Fels. Nach heißen und kalten Wasserbecken schwimmt man im Salzwasser des zentralen Pools leicht und mühelos. Man befindet sich tief im Inneren des Berges und blickt zugleich durch eine kleine Öffnung oberhalb in den Himmel. Der Entwurf arbeitet mit den paradigmatischen Gegensätzen von Wasser/Licht und Vertikalität/Horizontalität. Anschließend betritt man den lane pool, eine lange, schmale, gläserne Schwimmbahn, die in konstruktivistischer Manier in einen zylindrischen Tunnel gehängt ist. Dessen Ende wird zunächst durch eine Verstärkung der Geräusche der Lastwagen in der Mine angekündigt, bevor der Blick auf die außergewöhnliche Landschaft der Kupfermine fällt.
Erwähnung
La peau douce
ANDREAS LECHNER, PETRA MAIER
Berlin / D
Die beiden Schwarz-Weiß-Fotografien reflektieren auf poetische Weise, was Freizeit im Kontext der Wohnung bedeuten kann. Entsprechend der allgemeinen Tendenz unserer Zeit fließen die einzelnen Funktionen des Lebens, die die Moderne noch strikt trennen wollte, gegenwärtig ineinander, und Grenzen lösen sich zunehmend auf. Freizeit und Erholung finden auch in der Wohnung statt, zudem wird die Arbeit mehr und mehr in dieses Umfeld integriert. „La peau douce„ ist zunächst eine Momentaufnahme des täglichen Lebens, die die haptisch-sinnlichen Qualitäten einerseits und eine positiv konnotierte Passivität andererseits erklärtermaßen in den Mittelpunkt rücken will. Fokussiert wird ein „vornehmlich privater Raum des Rückzugs in einem Zustand des Innehaltens„. Die Fotografie transponiert einen banale Szene des Alltags und hebt sie auf die ästhetisch-künstlerische Ebene.
Dem ist ein Entwurf gegenübergestellt, der die gleichsam aus dem Alltag entnommene, sinnlich-haptische Erfahrung architektonisch interpretiert. In eine traditionelle Raumanordnung integriert sich – ganz im Sinne aktueller Tendenzen - eine neue, topologisch verformte Oberfläche. Der Entwurf spielt mit traditionellen Themen wie Bekleidung, Oberfläche und Materialität und versucht, die ursprüngliche Strenge der Architektur aufzuheben. Der Raum soll auf positive und unmittelbare Weise erfahrbar werden. Der ergänzende Text denkt dies weiter und formuliert den äußersten Moment des Glücks: „If I died now I’d be happy … I’ve never felt like that in my life …„ Inwieweit Architektur nun tatsächlich dazu beitragen kann, sei offen gelassen. Die Idee der unmittelbar sinnlichen Wahrnehmung stellt zweifellos ein zentrales Thema der Architektur dar. Perfektion in der Darstellung zeichnet schließlich beide Fotografien gleichermaßen aus.